3.1. Multilinearformen

In diesem Abschnitt wollen wir die Definition der sogenannten Multilinearformen einführen. Für beliebige Vektorräume V,W über einem Körper K haben Sie bereits den Begriff der Linearform, also einer linearen Abbildung φ:VW kennengelernt. Die Idee der Multilinearform ist anstatt nur einem, gleich k-viele Vektorräume V1,,Vk für kN über K zu betrachten und das Konzept der Linearität auf eine Abbildung φ:V1×VkW zu übertragen.

Zur Vereinfachung werden wir im Folgenden nur den Körper K=R betrachten, in den meisten Fällen lassen sich die hier beschriebenen Konzepte aber direkt auf allgemeine Körper übertragen. Wir beginnen zunächst mit einer Wiederholung und betrachten die schon bekannten Linearformen. Insbesondere soll der nächste Abschnitt die verschiedenen Begriffe des Dualraums abgrenzen.

3.1.1. Dualräume

Für einen reellen Vektorraum V wollen wir lineare Abbildungen φ:VR betrachten. Diese lassen sich mit Hilfe der folgenden Definition zum algebraischen Dualraum zusammenfassen.

Definition 3.1 (Algebraischer Dualraum)

Es sei V ein beliebiger R-Vektorraum. Dann nennen wir die Menge

V:={φ:VR:φ ist linear}

den algebraischer Dualraum zu V.

Aus [Ten21] ist bereits der Begriff des topologischen Dualraums bekannt, welcher allerdings eine etwas restriktivere Definition hat. Sie fordert nämlich noch zusätzlich die Stetigkeit der linearen Abbildungen.

Definition 3.2 (Topologischer Dualraum)

Es sei V ein normierter R-Vektorraum für einen Körper R. Dann nennen wir die Menge

V:={φ:VR:φ ist linear und stetig}

den topologischer Dualraum zu V.

Gefahr

Der algebraische Dualraum ist im Allgemeinen nicht gleich dem topologischen Dualraum. Der Hauptzweck dieses Abschnitts ist es diese Tatsache klar zu machen und die Unterschiede der beiden Definitionen herauszustellen.

Der Integraloperator ist ein typisches Beispiel für einen linearen stetigen Operator.

Example 3.1 (Integraloperator)

Es sei V:=C([0,1]) der Funktionenraum der stetigen Funktionen auf dem Intervall [0,1]R. Dann ist der durch T:C([0,1])R definierte Integraloperator mit

T(f):=10f(x)dx

ein Element des topologischen Dualraums, d.h. TV, da man zeigen kann, dass er linear und stetig ist.

Folgende Bemerkung sagt etwas über die minimale Struktur, die der Vektorraum V haben muss, damit die Definition des topologischen Dualraums sinnvoll ist.

Remark 3.1

Damit die Definition 3.2 sinnvoll ist, ist es in der Tat nicht notwendig, dass V ein normierter Raum ist. Es reicht anzunehmen, dass V ein topologischer Vektorraum ist.

Durch Vergleichen von Definition 3.1 und Definition 3.2 erkennt man sofort, dass stets VV gilt. Außerdem stellt man fest, dass die beiden Räume im endlich-dimensionalen Fall überein stimmen, wie folgendes Lemma aussagt.

Lemma 3.1

Für nN sei V ein n-dimensionaler R-Vektorraum, dessen Norm durch das Standardskalarprodukt induziert ist. Dann gilt

V=V.

Proof. In der Hausaufgabe zu zeigen.

Das folgende Beispiel aus der Funktionalanalysis erklärt, dass die Gleichheit von algebraischen und topologischen Dualräumen nicht mehr in unendlich-dimensionalen Räumen gilt.

Example 3.2 (Differentialoperator)

Sei V:=C1([0,1]) der Vektorraum der stetig differenzierbaren Funktionen auf dem Intervall [0,1]R. Wir betrachten im Folgenden den Differentialoperator

D:VR(Df)(x)f(x),x[0,1].

Bekanntermaßen ist der Differentialoperator D linear und ist somit ein Element des algebraischen Dualraums, d.h., DV. Statten wir den Vektorraum C1([0,1]) mit der Supremumsnorm

||f||:=supx[0,1]|f(x)|

aus und betrachten die Funktionenfolge fn(x):=xn, dann sehen wir ein, dass die Supremumsnorm der Folge konstant ist mit ||fn||1 für alle nN. Für den Differentialoperator D gilt jedoch

||Dfn||=supx[0,1]|(Dfn)(x)|=supx[0,1]|fn(x)|=supx[0,1]|nxn1|=n.

Um die Stetigkeit des Differentialoperators zu untersuchen betrachten wir die konstante Nullfunktion F0V mit F0(x)0 für alle x[0,1]. Vergleichen wir nun den Abstand der konstanten Nullfunktionen zum ersten Folgenglied f1 unserer Funktionenfolge, so erhalten wir erwartungsgemäß

||f1F0||=||f1||=||x1||=1<32=:δ.

Für den Differenzialoperator erhalten wir analog

||Df1DF0||=||Df1||=||1||<32=:ϵ.

Wäre der Differenzialoperator D stetig, so müsste nach dem ϵδ-Kriterium nun für jedes Folgenglied fn unserer Funktionenfolge ||DfnDF0||<ϵ gelten, da der Abstand kleiner δ ist wegen

||fnF0||=||fn||=||xn||=1<δ.

Jedoch sehen wir, dass die Folge der Ableitungen divergiert, d.h.,

||DfnDF0||=||Dfn||=||nxn1||=n>ϵfür n2.

Wir sehen also ein, dass der Differentialoperator nicht stetig ist und somit kein Element des topologischen Dualraums V sein kann. Damit haben wir gezeigt, dass in unendlich-dimensionalen Räumen VV gilt.

3.1.2. k-Multilinearformen

Nachdem wir uns den Begriff der Linearität ins Gedächtnis zurückgerufen haben und Dualräume erklärt haben, wollen wir was Konzept linearer Abbildungen in der folgenden Definition verallgemeinern.

Definition 3.3 (k-Multilinearität)

Sei kN und es seien Vi,i=1,,k, sowie W reelle Vektorräume.

Wir nennen eine Abbildung

φ:V1××Vk W

k-(multi)linear, falls alle zugehörigen partiellen Abbildungen φi für i{1,,k} mit

φi:ViWxφi(x):=φ(z1,,zi1,x,zi+1,,zk)

linear sind.

Die Menge aller k-linearen Abbildungen wird mit Lk(V1××Vk;W) bezeichnet. Falls alle Vektorräume übereinstimmen, d.h., Vi=V für alle i=1,,k gilt, so schreibt man auch Lk(V××V;W)=:Lk(V;W).

Remark 3.2

Ausgeschrieben bedeutet die Bedingung in der obigen Definition, dass für beliebige Vektoren x,yVi und Skalare λR gilt

φ(z1,,zi1,λx,zi+1,,zk)=λφ(z1,,zi1,x,zi+1,,zk)

und

φ(z1,,zi1,x+y,zi+1,,zk)=φ(z1,,x,,zk)+φ(z1,,y,,zk).

für jedes Argument i=1,,k der Abbildung φ:V1××VkW.

Viele multilineare Abbildungen kennen wir bereits aus der Linearen Algebra ohne sie bisher so bezeichnet zu haben. Im folgenden Beispiel wiederholen wir einige bekannte Beispiele unter dem Aspekt der Multilinearität.

Example 3.3

Wir betrachten im Folgenden Beispiele für k-lineare Abbildungen mit verschiedenen kN.

k=1: In diesem einfachen Fall sind alle Linearformen 1-linear. Daher ist der Raum der 1-Linearformen gerade der algebraische Dualraum aus Definition 3.1, d.h. es gilt L1(V;R)=V.

k=2: Es sei V=Rn der Euklidische Vektorraum mit kanonischem innerem Produkt ,. Für ARn,n ist

φ:V×VR(x,y)φ(x,y):=x,Ay

eine Bilinearform bzw. eine 2-Linearform nach Definition 3.3. Sie heißt symmetrisch, falls

φ(x,y)=φ(y,x),x,yV

und antisymmetrisch falls

φ(x,y)=φ(y,x),x,yV.

k=n: Es sei nN und V=Rn der Euklidische Vektorraum. Die n-lineare Abbildung

φ:V××VR(z1,,zn)φ(z1,,zn):=det([z1,,zn])

heißt Determinantenform. Wir beachten, dass hierbei jedes ziRn für i=1,,n ein Vektor ist und es sich bei [z1,,zn]Rn×n um eine Matrix handelt. Die Determinantenform gibt das orientierte Volumen des von den Vektoren z1,,zn aufgespannten Parallelotops an.

3.1.3. Der Vektorraum der Multilinearformen

Die Menge der k-linearen Abbildung Lk(V1××Vk;W) für R-Vektorräume V1,,Vk und W besitzt mehr Struktur als wir ihr bisher angesehen haben. Mit den entsprechenden Verknüpfungen handelt es sich ebenfalls um einen Vektorraum, wie das folgende Lemma zeigt.

Lemma 3.2

Sei kN und es seien V1,,Vk sowie W reelle Vektorräume. Dann ist die Menge Lk(V1×Vk;W) ein Vektorraum über R bezüglich der Addition

(φ1+φ2)(z1,,zk):=φ1(z1,,zk)+φ2(z1,,zk),

für k-lineare Abbildungen φ1,φ2Lk(V1××Vk;W) und der Multiplikation mit Skalaren λR

(λφ)(z1,,zk):=λ(φ(z1,,zk)),φLk(V1××Vk;W).

Proof. In der Hausaufgabe zu zeigen.

Wir wir bereits in Example 3.3 gesehen haben erhalten wir einen wichtigen Spezialfall für k=1, nämlich den algebraischen Dualraum V=L1(V;R). Für diesen Vektorraum können wir eine spezielle Basis angeben, wie das folgende Lemma zeigt.

Lemma 3.3 (Duale Basis)

Es sei V ein n-dimensionaler R-Vektorraum mit einer endlichen Basis B=(b1,,bn). Für beliebige Vektoren zV bilden die Abbildungen ηj:VR für j=1,,n mit

ηj(z):=ηj(ni=1αibi):=αj

eine Basis des algebraischen Dualraums V. Diese spezielle Basis wird auch die duale Basis zur Basis B genannt.

Proof. Wir zeigen zunächst, dass ηjV für j=1,,n. Dazu seien x,yV beliebige Vektoren. Dann existieren Koeffizienten αxi,αyiR für i=1,,n, so dass es eine eindeutige Darstellung als Linearkombination der Basisvektoren gibt mit

x=ni=1αxibi,y=ni=1αyibi.

Somit haben wir also für die Summe der Vektoren

ηj(x+y)=ηj(ni=1αxibi+ni=1αyibi)=ηj(ni=1αxibi+αyibi)=ηj(ni=1(αxi+αyi)bi)=αxi+αyi=ηj(ni=1αxibi)+ηj(ni=1αyibi)=ηj(x)+ηj(y).

Weiterhin gilt für beliebige Skalare λR

ηj(λx)=ηj(λni=1αxibi)=ηj(ni=1(λαxi)bi)=λαxi=ληj(x).

Damit haben wir also gezeigt, dass die Elemente der dualen Basis linear sind und somit gilt ηjV für j=1,,n.

Sei nun ϕV, dann gilt

ϕ(x)=ϕ(ni=1αxibi)=ni=1αxiϕ(bi)=ni=1ηi(x)ϕ(bi),

insbesondere gilt also ϕ=ni=1ϕ(bi)ηi.

Somit bilden die Abbildungen ηj,j=1,,n ein Erzeugendensystem von V, da jede lineare Abbildung ϕV als Linearkombination dargestellt werden kann.

Um zu zeigen, dass es sogar um eine Basis des algebraischen Dualraums handelt, müssen wir noch zeigen, dass das Nullelement des Vektorraums eine eindeutige Darstellung besitzt, da dies impliziert, dass die Elemente des Erzeugendensystems linear unabhängig sind. Seien also Koeffizienten aiR gegeben, so dass 0=ni=1aiηi die Nullabbildung realisiert. Dann folgt schon für jedes j=1,,n

0=(ni=1aiηi)(bj)=ni=1aiηi(bj)=δij=aj.

Offensichtlich kann die Nullabbildung nur erzeugt werden, wenn für alle Koeffizienten ai=0 gilt für i=1,,n und damit ist die Aussage bewiesen.

Folgende Bemerkungen wollen wir zum gerade diskutierten Lemma festhalten.

Remark 3.3

1. Die Aussage aus Lemma 3.3 zeigt insbesondere, dass im endlich-dimensionalen Fall dim(V)=dim(V). Die Vektorräume sind also isomorph zueinander.

2. Die Aussage des Lemma 3.3 zur dualen Basis lässt sich ebenfalls auf den Fall eines unendlich-dimensionalen Vektorraums übertragen. Hierfür erinnern wir daran, dass für einen Vektorraum V stets eine Basis B={bi:iI}V existiert, wobei I eine (nicht notwendigerweise endliche) Indexmenge ist. Insbesondere bemerken wir, dass wir hier von einer Hamelbasis sprechen, d.h., für jedes Element vV gibt es eindeutig bestimmte Koeffizienten αi,iI, so dass gilt

v=iIαibi.

Der wichtige Punkt hierbei ist, dass nur endlich viele Koeffizienten αi ungleich null sind und die Summation somit keine eigentlich unendliche Reihe beschreibt, sondern nur eine endliche Summe. Diese Konzept ist insbesondere verschieden vom Begriff der Schauderbasis

Wir wollen uns das Konzept der dualen Basis im Falle des Euklidischen Vektorraums klar machen im Folgenden.

Example 3.4 (Duale Basis)

Sei V=Rn der Euklidische Vektorraum ausgestattet mit der Standard Einheitsbasis B=(ei)i=1,,n. Dann lässt sich jeder Vektor xV eindeutig als Linearkombination der Einheitsvektoren schreiben mit

x=ni=1αxiei=ni=1xiei.

Wir sehen also ein, dass die Koeffizienten αxi gerade die Einträge des Vektors x selbst sind. Da die duale Basis des algebraischen Dualraums V zur Basis B nach Lemma 3.3 gerade die Koeffizienten αxi liefern soll, ist klar, dass die entsprechenden linearen Abbildungen durch eine Linksmultiplikation mit den transponierten Einheitsvektoren gegeben sind, d.h., ηj(x):=eTjx=ej,x, denn es gilt

ηj(x)=ηj(ni=1αxiei)=ej,ni=1xiei=ni=1xiej,ei=δij=xj=αxj,j=1,,n.

Wir halten abschließend fest, dass sich der Bidualraum V:=(V), d.h., der duale Raum des Dualraums V, im endlich-dimensionalen Fall leicht charakterisieren lässt.

Remark 3.4

Für nN sei V ein n-dimensionaler reeller Vektorraum. Dann gilt, dass die Abbildung

Ψ:VVxΨx mit Ψx(φ):=φ(x).

ein Isomorphismus ist.