3.3. Kompaktheit

Ein zentraler Begriff in der mathematischen Topologie ist Kompaktheit einer Menge, die für viele Existenzaussagen essentiell ist. Aus Kapitel 5.1 [Bur20] kennen Sie bereits kompakte Mengen in metrischen Räumen, so dass die folgende Definition einer Wiederholung darstellt.

Definition 3.10 (Kompaktheit)

Eine Teilmenge MX eines normierten Raumes X ist kompakt genau dann, wenn jede Folge (xn)nNM eine konvergente Teilfolge enthält, deren Grenzwert in M liegt.

In endlichen Dimensionen haben Sie bereits ein wichtiges Resultat für konvergente Teilfolgen kennengelernt. Der Satz von Bolzano-Weierstrass, dass abgeschlossene Kugeln in Kn mit Körper K=R oder K=C kompakt sind.

Theorem 3.3 (Bolzano-Weierstrass)

Sei K=R oder K=C ein Körper und (xk)kNKn eine beschränkte Folge, d.h. es gibt eine Konstante CR+, so dass alle Folgenglieder xk,kN, in der abgeschlossenen Kugel BC(0)Kn liegen, d.h.

xkC.

Dann existiert eine konvergente Teilfolge (xkj)jN mit dem Grenzwert ¯xX und es gilt ¯xC.

Proof. Siehe Satz 4.19 [Bur20].

Remark 3.4

Wir können folgende Beobachtungen zum Satz von Bolzano-Weierstrass Theorem 3.3 festhalten.

  1. In endlich-dimensionalen Vektorräumen X lässt sich eine noch stärkere Aussage beweisen, die sich auf den Satz von Heine-Borel Satz 5.18 [Bur20] zurückführen lässt. Anstatt nur einer hinreichenden Bedingung, kann man aussagen, dass eine Teilmenge MX genau dann kompakt ist, wenn Sie beschränkt and abgeschlossen ist.

  2. Der Satz gilt nicht mehr, wenn der betrachtete normierte Raum unendlich-dimensional ist, beispielsweise in Funktionen- bzw. Folgenräumen wie C([a,b];R) oder

2(R) = {(xn)nN:xnR,n=1|xn|2<}.

Betrachten wir beispielsweise die Folge (xn)nN2(R) der unendlich-dimensionalen Einheitsvektoren en2(R) mit

xn = en := (0,,0,1,0,),nN,

d.h., das Folgenglied xn besitzt eine Eins an der n-ten Stelle und sonst nur Nullen.

Es wird klar, dass jedes Folgenglied auf der Einheitskugel des Vektorraums 2(R) liegt, da offensichtlich gilt ||xn||=1 für alle nN. Das heißt, dass die Folge (xn)nN beschränkt ist und in der abgeschlossenen Einheitskugel liegt. Dennoch besitzt die Folge keine konvergente Teilfolge, da

||xmxn|| = ||emen|| = 2, für alle m,nN,mn,

d.h., der Abstand eines beliebigen Folgeglieds zu allen anderen Folgegliedern ist konstant 2. Somit kann keine konvergente Teilfolge von (xn)nN existieren und damit ist die Einheitskugel in 2(R) nicht kompakt.

Wir können über den Begriff der Kompaktheit sogar erkennen, ob ein Vektorraum endlich erzeugt ist. Als Vorbereitung dieser Beobachtung benötigen wir jedoch zuerst das folgende Hilfslemma. Die Motivation für dieses Lemma ist, dass wir den Begriff eines senkrechten Vektors auf einen Unterraum aus Kapitel Orthogonalisierung und Orthonormalisierung nicht in beliebigen normierten Vektorräumen anwenden können (da ggfs. kein Skalarprodukt existiert). Dennoch können wir nach dem folgenden Lemma Einheitsvektoren finden, die außerhalb dieses Unterraums liegen und einen positiven Abstand zu diesem besitzen.

Lemma 3.1 (Lemma von Riesz)

Es sei X ein normierter Vektorraum und UX ein abgeschlossener, echter Unterraum von X. Sei außerdem ein δR mit 0<δ<1 gegeben. Dann existiert ein Element yX der Einheitskugel mit [X]y=1, so dass

d(y,U) := infuU[X]yu  δ.

Proof. Es sei δ(0,1) beliebig vorgegeben. Wir wählen ein beliebiges Element zXU aus dem Komplement von U und erkennen, dass der Abstand d(z,U) von z zu U positiv ist. Da wir den Unterraum UX als abgeschlossen angenommen haben, existiert ein Element u0U für das gilt

d(z,U) := infuUzuX  zu0X  d(z,U)δ.

Und damit können wir folgern, dass

(3.1)δd(z,U)  1zu0X.

Wählen wir nun den Einheitsvektor

y := zu0Xzu0X,

so ist offensichtlich ||y||X=1.

Für ein beliebiges Element vU können wir nun nachrechnen, dass gilt

yvX = zu0zu0vzu0Xzu0XX = 1zu0Xzu0vzu0XX.

Da der Vektor (u0vzu0X)U ist, können wir folgende Abschätzung treffen

1zu0Xzu0vzu0XX  1[X]zu0 infuU[X]zu () δd(z,U)d(z,U) = δ,

wobei () wegen (3.1) gilt.

Mit Hilfe des obigen Lemmas können wir den folgenden interessanten Kompaktheitssatz beweisen, der es uns erlaubt einen endlich-dimensionalen Vektorraum an der Kompaktheit seiner Einheitskugel zu erkennen.

Theorem 3.4 (Kompaktheitssatz von Riesz)

Ein normierter Vektorraum X ist genau dann endlich-dimensional, wenn seine entsprechende Einheitskugel

B1(0) := {xX:||x||X1}

kompakt ist.

Proof. Wir zeigen die beiden Implikationen der Äquivalenzaussage im Folgenden getrennt voneinander.\[0.3cm]

:

Aus der Linearen Algebra wissen wir, dass es für jeden endlich-dimensionalen K-Vektorraum X ein Homöomorphismus Φ:XKn existiert. Es sei nun (xk)kNBX1(0) eine Folge in der Einheitskugel von X, so dass

(Φ(xk))kNBKn1(0).

Da die Einheitskugel BKn1(0) nach dem Satz Theorem 3.3 von Bolzano-Weierstraß kompakt ist, existiert eine konvergente Teilfolge

(yk)kN(Φ(xk))kN.

Weil Φ als Homöomorphismus insbesondere eine stetige Umkehrabbildung Φ1 besitzt, ist dann aber auch

(zk)kN := (Φ1(yk))kN

eine konvergente Teilfolge in BX1(0). Da die Folge (xk)kN beliebig gewählt war, folgt die Kompaktheit der Einheitskugel BX1(0)X.

:

Um die Rückrichtung der Aussage zu beweisen, führen wir einen Beweis über die Kontraposition. Es sei X nicht endlich-dimensional, d.h, unendlich-dimensional. Dann existiert eine aufsteigende Folge von echten, abgeschlossenen Unterräumen (Uk)kNX von X mit

U1U2Uk ,dimUk<dimUk+1 für kN.

Für ein beliebiges δ(0,1) wählen wir mit Lemma 3.1 von Riesz einen Einheitsvektor ykUk, so dass

infuUk1[X]yu  δ.

Für beliebige Wahl des ersten Einheitsvektors y1X mit ||y1||=1 haben wir damit ein Folge (yk)kN auf der Einheitskugel BX1(0) konstruiert, welche beschränkt ist, jedoch keine Cauchy-Folge sein kann, da der Abstand zwischen den Folgegliedern immer mindestens δ beträgt. Daraus folgt, dass die Einheitskugel in einem unendlich-dimensionalen Vektorraum X nicht kompakt sein kann.

Der Kompaktheitssatz Theorem 3.4 von Riesz besagt zwar, dass Kugeln in unendlich-dimensio-nalen Banachräumen nicht kompakt sind. Dennoch heißt das nicht, dass es in unendlich-dimensio-nalen Banachräumen keine kompakten Teilmengen gibt. Um dies zu verdeutlichen beschäftigen uns abschließend mit einem fundamentalen Satz, der Aussagen über die Kompaktheit bestimmter Teilmengen des Funktionenraumes (C([a,b],Rn),) der stetigen Funktionen auf einem Intervall [a,b]R zusammen mit der Supremumsnorm erlaubt. Dies ist nur ein Spezialfall des Satzes von Arzelà-Ascoli, der in der allgemeinen Formulierung abstraktere Räume untersucht.

Theorem 3.5 (Arzelà-Ascoli)

Sei [a,b]R ein Intervall und es sei (fn)nN eine Folge von Funktionen aus C([a,b],R), welche punktweise beschränkt und gleichgradig stetig ist, d.,h.

  1. x[a,b]KR+:supnN|fn(x)|K,

  2. ε>0δ>0nN x,y[a,b]:(|xy|<δ|fn(x)fn(y)|<ε).

Dann besitzt die Folge (fn)nN eine gleichmäßig konvergente Teilfolge.

Proof. Der Beweis dieses Satzes beruht auf dem \emph{Cantorschen Diagonalverfahren}, das rekursiv Teilfolgen konstruiert die partiell konvergieren und dann anschließend aus all diesen Teilfolgen eine überall konvergente Teilfolge zu konstruieren. Wir betrachten hierfür zunächst die abzählbar unendliche Teilmenge Q[a,b] des Intervalls [a,b] mit der Abzählung

Φ:Q[a,b]N.

Für xQ[a,b] mit Φ(x)=i schreiben wir xi. Weil alle Folgeglieder (fn(x1))nN beschränkt sind nach Voraussetzung, existiert eine konvergente Teilfolge (f1n(x1))nN von (fn(x1))nN nach dem Satz Theorem 3.3 von Bolzano-Weierstraß. Aus dieser konvergenten Teilfolge können wir wiederum eine Teilfolge (f2n(x2))nN mit der gleichen Argumentation bestimmen. Dies können wir sukzessive weiterführen für alle Punkte (xn)nN[a,b].

Wir definieren nun eine spezielle Funktionenfolge (gn)nN(fn)nN mit

gn:[a,b]R,xfnn(x)

und beweisen, dass diese Folge gleichmäßig konvergiert in C([a,b];R). Hiebei reicht es zu zeigen, dass (gn)nN eine Cauchy-Folge ist, da wir aus Beispiel Example 3.3 wissen, dass C([a,b];R) vollständig bezüglich der Supemumsnorm ist.

Sei nun ϵ>0 beliebig gewählt. Nach Voraussetzung existiert nun ein entsprechendes δ>0 so dass für alle x,y[a,b] folgt, dass |fn(x)fn(y)|<ϵ falls |xy|<δ gilt. Wir partitionieren das Intervall [a,b] in kleine Teilintervalle Ij,j=1,,m mit diam(Ij)<δ, so dass

[a,b] = mj=1Ij.

Dann wählen wir Punkte aus jedem Teilintervall mit

x1I1Q,x2I2Q, ,xmImQ.

Für einen beliebigen Index j{1,,m} seien k(j)>(j) so groß, dass die Teilfolge (fn(xj))nN punktweise konvergiert. Als Teilfolge jener Folge konvergiert auch (fkn(xi))nN gegen den gleichen Grenzwert. Wir finden daher (j) so groß, dass

(3.2)|gk(xi)g(xi)| = |fkk(xi)f(xi)| < ε3.

Nehmen wir nun einen globalen Index über alle Teilintervalle mit >max{(1),,(m)}, so gilt die obige Abschätzung für alle xi, i{1,,m}.

Es sei nun x[a,b] ein beliebiger Punkt. Dann existiert ein Index j{1,,m}, so dass der Punkt x im Teilintervall Ij liegt. Für ein k>>max{(1),,(m)} gilt nun mit Abschätzung \eqref{equ:arzela:erste abschaetzung} und wegen der geradlinigen Stetigkeit der Folge:

|gk(x)g(x)|  |gk(x)gk(xj)|+|gk(xj)g(xj)|+|g(xj)g(x)|  ε

Da dies für beliebige Punkte x[a,b] gilt ist (gk)kN eine Cauchy-Folge bezüglich der Supremumsnorm und konvergiert somit gleichmäßig in C([a,b];R).