4.1. Partielle Integration

Aus der Produktregel in Satz Theorem 4.2 können wir eine Regel für die Partielle Integration ableiten:

Theorem 4.3 (Partielle Integration)

Seien \(f,g\colon[a,b]\to\R\) stetig differenzierbare Funktionen. Dann gilt die folgende Rechenregel der partiellen Integration:

(4.1)\[ \int_a^b f(x)g'(x)\,\mathrm{d}x \ = \ (f\cdot g)\Big\vert_a^b \, - \, \int_a^b f'(x) g(x)\,\mathrm{d}x\,.\]

Proof. Siehe Satz 7.13 [Bur20]

Remark 4.3

Um die Stammfunktion \(F\) einer Funktion \(f\) mit \(F'(x) = f(x)\) zu bestimmen, betrachten wir ein unbestimmtes Integral ohne Grenzen

\[\begin{equation*} F(x) \ = \ \int f(x)\, \mathrm{d}x. \end{equation*}\]

Wir können dann mittels der Produktregel der Differentiation in Satz \ref{satz:produktregel} eine Stammfunktion der Form \(F(x) = (f \cdot g)(x)\) bestimmen als

(4.2)\[\begin{split}\begin{split} F(x) \ &= \ (f \cdot g)(x) \ = \ \int (f \cdot g' + f' \cdot g)(x)\,\mathrm{d}x\\ \ &= \ \int f(x) \cdot g'(x)\,\mathrm{d}x + \int f'(x) \cdot g(x)\,\mathrm{d}x. \end{split}\end{split}\]

Das folgende Beispiel wendet die Regel der partiellen Integration an.

Example 4.2

Wir wenden die partielle Integration im Folgenden für zwei verschiedene Fälle an. Zuerst wollen wir eine Stammfunktion herleiten und danach ein Integral berechnen.

  • Wir wollen eine Stammfunktion des natürlichen Logarithmus \(\ln \colon \R^+ \rightarrow \R\) herleiten. Wir können in diesem Fall zwei Funktionen \(f\) und \(g\) so definieren, dass wir die Rechenregel für partielle Integration in Satz Theorem 4.3 anwenden können. Sei also \(f(x) \coloneqq \ln(x)\) und \(g(x) \coloneqq x\) gewählt, dann gilt offensichtlich, dass \(g'(x) \equiv 1\) konstant ist. Stellen wir die Formel (4.2) geeignet um und setzen diese Funktionen ein, so erhalten wir

\[\begin{align*} \int\ln(x)\cdot 1\,\mathrm{d}x \ &= \ \int f(x)g'(x)\, \mathrm{d}x \ = \ (f\cdot g)(x) - \int f^\prime(x)g(x)\,\mathrm{d}x \\ \ &= \ \ln(x) \cdot x - \int \frac{1}{x} \cdot x\, \mathrm{d}x \ = \ \ln(x) \cdot x - x + C. \end{align*}\]
  • Wir wollen das Integral der Arkussinus Funktion

\[\begin{equation*} \arcsin \colon [-1, 1] \rightarrow [-\frac{\pi}{2}, \frac{\pi}{2}] \end{equation*}\]

in einem Intervall \([0, y]\) mit \(0 < y \leq 1\) berechnen.

Wir können in diesem Fall zwei Funktionen \(f\) und \(g\) so definieren, dass wir die Rechenregel für partielle Integration in Satz Theorem 4.3 anwenden können. Sei also \(f(x) \coloneqq \arcsin(x)\) und \(g(x) \coloneqq x\) gewählt, dann gilt offensichtlich, dass \(g'(x) \equiv 1\) konstant ist. Setzen wir dies in (4.1) ein, erhalten wir

\[\begin{align*} \int_0^y\arcsin(x)\cdot 1\,\mathrm{d}x \ &= \ \int_0^y f(x)g'(x)\, \mathrm{d}x \ = \ (f\cdot g)\Big\vert_0^y-\int_0^yf^\prime(x)g(x)\,\mathrm{d}x \\ \ &= \ y \cdot \arcsin(y) - \int_0^y \frac{x}{\sqrt{1-x^2}}\, \mathrm{d}x. \end{align*}\]

Das zweite Integral in dieser Gleichung, wollen wir zunächst so hinnehmen. Im folgenden Abschnitt werden wir eine praktische Integrationsregel, genannt Substitutionsregel, einführen mit der sich dieses Integral einfach berechnen lässt.