1.3. Folgen und Konvergenz¶
Eine Folge (xn) reeller Zahlen ist eine Zuordnung xn∈R zu jedem n∈N. Allgemeiner kann man auch Folgen anderer Objekte betrachten, aber wir belassen es hier bei reellen Folgen. Diese dienen uns als Einstieg ins Unendliche, wir wollen daran ein wenig das Konzept von Konvergenz und Grenzwerten beleuchten.
Wir interessieren uns besonders für die Konvergenz (oder auch Divergenz) von Folgen, d.h. das Verhalten für n gegen unendlich (geschrieben als n→∞). Eine konvergente Folge besitzt einen Grenzwert ¯x (geschrieben xn→¯x), wenn für größer werdende n die Folgenglieder dem Wert ¯x immer näher kommen. Nun stellt sich aber die Frage wie wir diese Aussage mathematisch präzise formalisieren können. Zunächst erkennen wir, dass immer näher kommen bedeutet, dass
für ϵ>0 beliebig klein und n hinreichend groß gilt. Beliebig klein und hinreichend groß sind mathematisch aber immer noch zu schwammige Begriffe, die wir weiter präzisieren müssen. Tatsächlich tun wir dies, indem wir uns einen Zweifler an der Konvergenz vorstellen, der ein ϵ>0 vorgibt und wir müssen (1.6) nun für alle n groß genug erfüllen (wobei das kleinste n, für das (1.6) gelten muss natürlich von ϵ abhängen kann). Wir können also folgende Definition geben:
Definition 1.1
Eine reelle Folge (xn) heißt konvergent gegen den Grenzwert ¯x, geschrieben
genau dann, wenn für alle ϵ>0 ein n0∈N existiert, sodass für alle n≥n0 (1.6) erfüllt ist. Eine Folge heißt konvergent, wenn es ein ¯x gibt, sodass xn→x.
Bei dieser Formalisierung haben wir zwei wesentliche logische Aussagen verwendet, nämlich für alle und es existiert. Diese werden wir in der Vorlesung durch sogenannte Quantoren abkürzen:
∀≡ für alle,
∃≡ es existiert.
Damit können wir obige Aussage kompakt als
schreiben. Dabei haben wir den Doppelpunkt verwendet um die eigentliche Aussage zu beginnen, : ersetzt also das sprachliche gilt.
Ist eine Folge nicht konvergent, so nennen wir sie divergent. Wir beachten, dass nach unserer Definition ¯x∈R gelten muss. Es gibt also im strengen Sinn keine Konvergenz xn→∞ (oder analog xn→−∞), wie man intuitiv zum Beispiel von der Folge (xn)=(n) erwarten würde. Das Problem dabei ist, dass xn ja dem Wert ¯x=∞ nicht beliebig nahe kommt, der Unterschied ist immer unendlich groß. Deshalb sagen wir xn konvergiert gegen unendlich, xn→∞, genau dann wenn
Hier hat ϵ eine andere Rolle als vorhin, da wir uns ja dafür interessieren, dass ϵ beliebig groß wird (nicht beliebig klein wie bei der üblichen Konvergenz), die Definition über alle ϵ deckt dies aber gut ab. Als Übung lassen wir den Fall einer Definition von xn→−∞. Zum Verständnis betrachten wir einige Beispiele:
Example 1.1
Sei (xn) die konstante Folge xn=1 für alle n. Diese konvergiert natürlich gegen ¯x=1. Es gilt tatsächlich:
da |xn−¯x|=0, d.h. wir können immer n0=0 wählen.
Example 1.2
Sei (xn) die Folge xn=1n für alle n>0 mit x0 beliebig definiert. Diese konvergiert natürlich gegen ¯x=0. Es gilt
wenn n>1ϵ ist. Wir wählen also n0 als die nächstgrößte natürliche Zahl zu 1ϵ, damit erhalten wir die Konvergenz.
Example 1.3
Sei (xn) die Folge xn=(−1)n für alle n≥0. Diese alternierende Folge divergiert. Ist ¯x=1, dann gilt für ungerades n beliebig groß |xn−¯x|=2, also erhalten wir mit ϵ=1 bereits eine Verletzung der Konvergenzbedingung. Ist ¯x≠1, so gilt für gerades n immer |xn−¯x|=|1−¯x|≠0. Damit erhalten wir eine Verletzung der Konvergenzbedingung mit ϵ=|1−¯x|2.
In diesem Fall gibt es aber zwei konvergente Teilfolgen (yn)=(x2n) mit Grenzwert 1 und (zn)=(x2n+1) mit Grenzwert −1. Wie werden später noch häufiger mit konvergenten Teilfolgen zu tun haben.
Example 1.4
Sei (xn) die Folge xn=n2+12n2+1 für alle n≥0. Diese konvergiert gegen ¯x=12. Es gilt
dies ist kleiner ϵ, wenn n≥n0>√14ϵ−12 (bzw. n0≥0 wenn ϵ>12) gilt.
Als Verallgemeinerung des letzten Beispiels können wir zeigen, dass
gilt, wenn xn→¯x und yn→¯y≠0. Dazu machen wir mit Hilfe der Dreiecksungleichung folgende Abschätzung:
Gilt nun
Dann folgt mit der Dreiecksungleichung auch
Damit ist
Nun wählen wir
dann gibt es n10 und n20, sodass
und
Nun sei n0=max{n10,n20}, dann folgt durch Einsetzen der Schranken für ϵ1 und ϵ2 in die obige Abschätzung
für alle n≥n0. Als Übung überlassen wir den Fall ¯x≠0 und ¯y=0, hier erhält man für den Grenzwert Konvergenz gegen +∞ oder −∞ je nach Vorzeichen von ¯x.
Example 1.5
Sei (xn) die Folge xn=n für alle n≥0. Es gilt xn→∞, da |xn|>ϵ für n≥n0, wenn wir n0 als die nächstgrößte natürliche Zahl zu ϵ wählen.
Wir können die Definition der Konvergenz auch direkt auf Folgen xn∈RN übertragen wenn wir den Betrag durch die (Euklidische Norm) ersetzen:
Example 1.6
Als Beispiel betrachten wir eine Folge (xn) im R2 gegeben durch xn=(nn+12−n). Dies konvergiert gegen ¯x=(10). Es gilt
für n≥1, da 2n≥n+1. Also folgt
für n≥n0, wenn n0 größer als √2ϵ−1 ist.
Wir können auch noch andere Eigenschaften von Folgen untersuchen. Eine erste ist die Anordnung, wir sagen eine Folge ist
monoton steigend, wenn xn≤xn+1 für alle n∈N gilt,
monoton fallend, wenn xn≥xn+1 für alle n∈N gilt. \end{*ize}
Dazu können wir auch das Supremum (sup) und Infimum (inf) einer Folge definieren. Bei einer endlichen Menge erreicht man nach endlich vielen Schritten ja immer ein Minimum oder Maximum, bei einer unendlichen Folge ist das nicht zwangsläufig der Fall. So kommt etwa xn=1n dem Wert 0 beliebig nahe, erreicht ihn aber nicht. Deshalb machen wir folgende Definition:
Definition 1.2
Wir nennen x∗∈R das Infimum der reellen Folge xn (geschrieben x∗=infnxn), genau dann wenn die beiden folgenden Bedingungen erfüllt sind:
∀n∈N: x∗≤xn
∀ϵ>0 ∃n0∈N:xn0<x∗+ϵ.
Wir nennen x∗∈R das Supremum der reellen Folge xn (geschrieben x∗=supnxn), genau dann wenn die beiden folgenden Bedingungen erfüllt sind:
∀n∈N: x∗≥xn
∀ϵ>0 ∃n0∈N:xn0>x∗−ϵ.
Analog zur Konvergenz können wir auch die Fälle infnxn=−∞ und supxn=+∞ definieren, letzteres ist der Fall wenn
Im Fall einer monotonen Folge können wir nun direkt die Konvergenz beweisen:
Theorem 1.1
Sei (xn) eine monoton steigende reelle Folge. Dann gibt es ein ¯x∈[x0,+∞] mit xn→¯x.
Proof. Wir definieren ¯x=supnxn und unterscheiden zwei Fälle. Ist die Folge unbeschränkt, d.h. ¯x=∞, so gilt
Da die Folge monoton steigend ist, gilt xn≥xn0 für alle n≥n0. Damit ist die Bedingung
erfüllt.
Ist ¯x<∞, dann gilt
und da wieder xn≥xn0 für alle n≥n0 gilt erhalten wir auch xn>¯x−ϵ. Andererseits ist xn≤¯x, also gilt für alle n≥n0 auch |xn−¯x|<ϵ. ◻
In obigem Beweis haben wir verwendet, dass aus xn+1≥xn f”ur alle n auch folgt
Dies scheint offensichtlich, benutzt aber ein nichttriviales logisches Prinzip, die sogenannte Induktion. Dabei schließt man auf eine Aussage für alle natürlichen Zahlen, wenn man aus der Aussage für ein n∈N auch die Aussage für n+1 folgern kann.